Der Manipulation auf der Spur

In der Facebook-Gruppe „Klimawandel“ geht es um Theorien zum (menschengemachten) Klimawandel, so zumindest lautet die Ankündigung. Unter den mehr als 1900 Mitgliedern (Stand Februar 2021) gibt es gefühlt zwei Drittel „Klimaskeptiker“, die mit den „Klimahysterikern“ darüber streiten, ob es den anthropogenen Klimawandel überhaupt gibt und ob alle Veränderungen durch „natürliche“ Schwankungen hervorgerufen werden. Dabei arbeiten viele nicht mit fairen Mitteln, wie im folgenden Beispiel gezeigt wird.

Ein Beitrag von Antonius Warmeling, ehem. Fichte-Gymnasium Hagen



Ein Mitglied der Facebook-Gruppe, Antonio, hatte die folgenden Grafiken mit der Frage „Was sieht man denn hier eigentlich?“ gepostet. An den vielen lachenden Smileys war zu erahnen, dass er sich freute, unter den Anhängern des menschengemachten Klimawandels mit seinen zwei gelben Pfeilen Verwirrung zu stiften.



Der erste Gedanke: „Wieso fallende Temperaturen, das sollte doch genau anders herum sein …“. Das Wort „Greenland“ im oberen Teil der Abbildung verrät: Hier wird wieder der alte Bauerntrick angewandt, mit lokalen Daten den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur negieren zu wollen. Die Recherche zu GISP2 (Greenland Ice Sheet Project) ergibt: Die Temperaturen sind aus einem Eisbohrkern rekonstruiert. Auf der x-Achse sind 11000 bis 0 „years before now“ eingetragen.

Aber welches Jahr entspricht dem Zeitpunkt t=0? Die CO2-Konzentration in der zweiten Grafik liegt bei 280ppm. Das ist der vorindustrielle Wert, im Jahr 2019 werden schon mehr als 410ppm gemessen. Daher müssen sich die letzten rekonstruierten Daten auf einen deutlich zurückliegenden Zeitraum
beziehen. Auch das ist ein üblicher Manipulationstrick: Bei sehr großen Zeitintervallen ist der Nullpunkt gar nicht genau zu erkennen. Meine Antwort auf den frechen Post:

Jetzt ist der Forschergeist geweckt, „GISP2 Greenland“ wird recherchiert. Wikipedia liefert die folgende Grafik des “Greenland Ice Sheet Project“. Der Nullpunkt wird hier mit 1950 angegeben und die Datenlinie hört schon vor dem Nullpunkt auf. Da in der Beschreibung des Bildes die Datenquelle angegeben ist, können die Daten heruntergeladen werden. Ergebnis: Die letzte rekonstruierte Temperatur (-31,6°C) bezieht sich auf das Jahr 1855 (1950–95). Jetzt passt alles zusammen.


(Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Greenland_Gisp2_Temperature.svg, Urheber: https://commons.wikimedia.org/wiki/User:Giorgiogp2)


Wie sind die Temperaturen heute in Grönland? Es heißt doch, dass dort die Temperaturen im Vergleich mit dem vorindustriellen Zeitraum besonders stark gestiegen seien. Die Suche nach Messstationen in Grönland ist erfolgreich: „Summit“ misst seit 1989 die Temperaturen genau dort, wo der Eiskern zu den obigen Daten gebohrt wurde. Die Temperaturdaten für den 12-JahresZeitraum von 1987 – 1999 sind zugänglich. Angegeben sind die Monats- und die Jahresmitteltemperaturen. Die Studie enthält zusätzlich noch interessante Informationen im Hinblick auf die Auswirkungen des Pinatubo-Vulkanausbruchs im Juni 1991.


(“A Dozen Years of Temperature Observations at the Summit: Central Greenland Automatic Weather Stations 1987–99“, Christopher A. Shuman, Konrad Steffen, Jason E. Box and Charles R. Stearns)


Die Jahresdurchschnittstemperaturen lagen in den 12 Jahren zwischen 246K und 242K (letztere in den beiden Jahren nach dem Vulkanausbruch), das entspricht -27°C bis -31°C. Die Temperaturen sind im Vergleich mit dem rekonstruierten Wert von 1855 deutlich angestiegen.

Antonio hat seinen Post mittlerweile gelöscht. Entweder hat er zu viel Gegenwind bekommen oder sein Ziel erreicht, die Klimahysteriker zu ärgern. Egal wie seine Motivation war, solche Posts sollten nicht unwidersprochen bleiben.

Umsetzung im Unterricht

Bildung soll befähigen, aktiv an der gesellschaftlichen Entwicklung teilzuhaben, in der Lage zu sein, diese mündig mitzubestimmen und auszugestalten. Dazu gehört auch eine gute Medienkompetenz; in den Zeiten, in denen soziale Netzwerke ein wichtiges Kommunikationsmittel sind, eigentlich unentbehrlich. In einigen Fällen hilft da Mathematik durchaus weiter, wie an dem obigen Beispiel gezeigt wurde.

Das Beispiel passt gut zur Kompetenzerwartung im NRW-Kernlehrplan: Die Schüler und Schülerinnen „lesen grafische statistische Darstellungen kritisch und erkennen Manipulationen“ (Kompetenzbereich Stochastik). Natürlich gelingt eine solche wertende Untersuchung nicht in einer Stunde oder Doppelstunde, sie ist eine Langzeitaufgabe. In NRW ist das sehr gut möglich im Wahlpflichtbereich II, etwa in einem Kurs „Mathematik mit dem PC“.

Aufgabe

  1. Formuliere, welche Information uns Antonio damit geben wollte. Wie ist deine Meinung dazu?

  2. Untersuche nun die Grafik genauer (Achsenbeschriftung, Überschrift …), kläre unklare Begriffe. Versuche herauszufinden, woher die Daten stammen und auf welche Region sie sich beziehen.

  3. Recherchiere die zugehörigen Daten und erstelle eine eigene Grafik.

  4. Formuliere eine Antwort auf den Post.

Hinweis 1
Gib den Begriff “GISP2 Greenland” in eine Suchmaschine ein, so kannst du die Grafik bei Wikipedia finden.
(https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Greenland_Gisp2_Temperature.svg)

Hinweis 2
In der Beschreibung zur Grafik “Greenland_Gisp2_Temperature.svg” findest du den Link zu den Daten.
(http://www.ncdc.noaa.gov/paleo/pubs/alley2000/alley2000.html)

Daten 1
Mit dem Link aus Hinweis 2 kommst du zur Seite Paleo Search.
• Wähle bei General Search: “ice cores”
• Und bei Advanced Search: Alley, R.B.

Daten 2
Die heruntergeladenen Daten sind im txt-Format. Du kannst sie z.B. mit Excel in das xlsx-Format umwandeln.

Daten 3
Aktuelle Temperaturdaten der Station Summit (Nähe Eiskernbohrung) findet man im Artikel “A Dozen Years of Temperature Observations at the Summit: Central Greenland Automatic Weather Stations 1987–99” von Christopher A. Shuman, Konrad Steffen, Jason E. Box und Charles R. Stearns in Abb. 9 (s.o.):
https://doi.org/10.1175/1520-0450(2001)040%3C0741:ADYOTO%3E2.0.CO;2


Dieser Beitrag stammt ursprünglich aus dem Casio Forum 2020/1.


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https://mathematik-lehr-netzwerk.de/community/blogb/der-manipulation-auf-der-spur/#post-135

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