Dokumentation von Schülerlösungen mit CAS

Selbst unter CAS-Befürwortern ist nicht unumstritten, wie eine angemessene Dokumentation von Schülerlösungen erfolgen sollte.

Ein Diskussionsbeitrag von Carsten Stauch, Gymnasium Coswig (Sachsen)


Einleitung

Bezogen auf den Mathematikunterricht wird kaum ein anderes Thema so kontrovers diskutiert wie der Einsatz von Computer-Algebra-Systemen (CAS) in der Schule. Während die Befürworter den Einsatz solcher Werkzeuge als unverzichtbar für modernen Mathematikunterricht und als Chance ansehen, befürchten Kritiker die Abkehr von der reinen Lehre der „richtigen Mathematik“.

Nicht minder umstritten ist selbst unter den CAS-Befürwortern, wie eine angemessene Dokumentation von Schülerlösungen erfolgen sollte. Einige Diskussionspunkte sind: Dürfen werkzeugspezifische Befehle zur Dokumentation verwendet werden? Oder sind sie vielmehr komplett zu vermeiden? Ist es notwendig, jede Rechnerausgabe vom Display abzuschreiben?

Eine zu starke Komprimierung der Lösungsdokumentation birgt ebenfalls Gefahren: Ein Fehler bei der Dateneingabe in das CAS-Werkzeug ist dann nicht mehr nachvollziehbar und führt unter Umständen zu einer Bewertung mit 0 Punkten – obwohl der Schüler die Problematik vollständig durchdrungen hat.

Folgendes Beispiel soll die große Divergenz der Auffassungen anhand einer typischen Rechenaufgabe illustrieren:

Aufgabe

Berechnen Sie die Fläche, die vom Graphen der Funktion \(f\) mit \(f(x)=x^2\), der \(x\)-Achse und den beiden Geraden \(x=3\) und \(x=6\) eingeschlossen wird.

Aus verschiedenen Diskussionsrunden mit Fachkollegen kenne ich die folgenden Varianten, wie Lösungswege zu dokumentieren sind:

  1. \(\int_{3}^{6} x^2 \, dx = 63\); mit TR; \(A=63 FE\)


  1. \(\int_{3}^{6} x^2 \, dx = 63\); mit TR Keyboard –> Integral, Eingabe \(f\), Grenzen; \(A=63 FE\)


  1. \(\int (x^2,x,3,6)=63 FE\)


  1. \(\int_{3}^{6} x^2 \, dx =\left[\frac{x^3}{3}\right]_3^6 = \frac{6^3}{3} – \frac{3^3}{3} = 72-9 = 63; A=63 FE\)

Die Varianten 3. und 4. sind dabei Extremfälle: 3. verzichtet auf die mathematische Notation, der Lösungsweg wird auf die Angabe eines rechnerspezifischen Befehls reduziert, darüber hinaus ist das Integral
eine reelle Zahl, keine Fläche; in 4. wird die Rechnerbenutzung ad absurdum geführt.

Die eigentliche Frage ist aber an dieser Stelle nicht, welche Variante die richtige ist, sondern warum einem Schüler, der ein CAS benutzt, diese Aufgabe überhaupt gestellt wird. CAS-Kritiker, die in diesem Zusammenhang gern von „Push-Button-Mathematik“ sprechen, haben recht, wenn sich Lernende nur mit Aufgaben auf diesem formalen Niveau auseinandersetzen müss(t)en.

Über den Nutzen von CAS und einer angemessenen Aufgabenkultur muss demnach Klarheit geschaffen werden, ehe die Diskussion der Lösungsdokumentation fortgeführt wird.

CAS im Unterricht

In den Bildungsstandards für das Fach Mathematik werden drei unverzichtbare Grunderfahrungen, die dem Schüler durch den Mathematikunterricht vermittelt werden sollen, genannt. Eine davon begreift „Mathematik als Mittel zum Erwerb von auch über die Mathematik hinausgehenden, insbesondere heuristischen Fähigkeiten“.

Mathematikunterricht hat also die Aufgabe, nicht nur reine Rechenfähigkeiten, sondern auch heuristische Fähigkeiten wie die Schulung logischen Denkens, der Problemlösefähigkeit und das Arbeiten mit Modellen zu entwickeln und zu schulen. Und viele Literaturbeiträge zeigen: CAS-Systeme ermöglichen dies an vielen Stellen des Mathematikunterrichtes.

Ein Blick auf die KMK-Bildungsstandards für das Fach Mathematik zeigt deutlich, dass der Schwerpunkt der Schülertätigkeit nicht mehr nur im reinen Rechnen oder in händischer Arbeit mit den mathematischen
Objekten liegen soll, sondern auch in der mathematischen Modellierung von realen oder zumindest realitätsnahen Sachverhalten, deren Umsetzung mit einem Werkzeug sowie der Interpretation der Ergebnisse des CAS.

CAS-Prüfungsaufgaben sollten deshalb nicht rein formal sein, sie müssten zusätzliche Denkleistungen erfordern wie Modellbildung, Transformation des Ansatzes in eine geeignete Syntax oder die Interpretation der Ausgabe des Werkzeugs.

Aufgaben, die entdeckendes Lernen fördern, sind meist offener gestaltet. In Prüfungssituationen sind Erwartungshorizonte deutlich schwieriger zu operationalisieren. Deshalb finden sie bei den folgenden Betrachtungen keinen Raum.

Anforderungen an die Dokumentation

Verbindliche Vorgaben für die Dokumentation von Schülerlösungen finden sich wieder in den Bildungsstandards:

Für die Beurteilung der Prüfungsleistungen sind sowohl die rein formale Lösung als auch das zum Ausdruck gebrachte mathematische Verständnis maßgebend. Daher sind erläuternde, kommentierende und begründende Texte unverzichtbare Bestandteile der Prüfungsleistung. Dies gilt auch für die Dokumentation des Einsatzes elektronischer Werkzeuge. Mangelhafte Gliederung, Fehler in der Fachsprache, Ungenauigkeiten in Zeichnungen oder unzureichende oder falsche Bezüge zwischen Zeichnungen und Text sind als fachliche Fehler zu werten. Die Beurteilung schließt mit einer Bewertung der von den Prüflingen erbrachten Leistung ab.1

Mathematisches Verständnis muss demnach zum Ausdruck gebracht werden; Fehler in der Fachsprache sind als Fehler zu werten. Damit ist die Verwendung mathematischer Notation verpflichtend. Eine Kette von Rechnerbefehlen allein kann aus diesem Grund nicht als vollständige Dokumentation angesehen werden. Es lässt sich aber kein Verbot von Rechnerbefehlen aus den Bildungsstandards ableiten. Zusätzlich zum mathematischen Ansatz können sie durchaus sinnvoll den Lösungsweg des
Schülers illustrieren.

Eine logische Gliederung von Argumenten ist unverzichtbar. Je komplexer die Aufgabenstellung, desto wichtiger ist die übersichtliche Struktur des Lösungsweges. Nur dadurch wird gewährleistet, dass die Darstellung der Lösung nachvollziehbar und eindeutig ist. Nachvollziehbarkeit und Eindeutigkeit erfordern insbesondere bei komplexen Aufgaben oder Aufgaben in Sachzusammenhängen eine Strukturierung des Lösungsweges inklusive begleitender Textstellen.

Aus der Dokumentation muss auch der Hilfsmitteleinsatz abzuleiten sein. An welchen Stellen der Problemlösung wurde ein Werkzeug eingesetzt Welche Werkzeuge wurden genutzt? In vielen Fällen ist dies sehr eindeutig: Wird zum Beispiel der solve-Befehl zum Lösen einer Gleichung genutzt, bedarf dies nur einer kurzen Erwähnung.

Zusammengefasst ergeben sich drei Anforderungskriterien:

  • Verwendung der mathematischenNotation (Einhaltung der Fachsprache)
  • Nachvollziehbarkeit (Gliederung, Kommentierung)
  • Eindeutigkeit (logische Struktur)


Aufgabenbeispiel 1

Diskutieren Sie die Anzahl der Lösungen der Gleichung \(2x^2+4ax+64=0, a \in \mathbb{R}\) in Abhängigkeit von \(a\).

Lösungsvorschlag

\(2x^2+4ax+64=0\); Lösen der Gleichung \(x_{1;2}=-a \pm \sqrt{a^2-32}\)

Untersuchung der Diskriminante

Zwei Lösungen: \(a^2-32 > 0 \Longleftrightarrow | a | > \sqrt {32} \Longleftrightarrow a < -\sqrt {32} \vee a > \sqrt {32}\)

Eine Lösung: \(a^2-32 = 0 \Longleftrightarrow | a | = \sqrt {32} \Longleftrightarrow a = \pm \sqrt {32}\)

Keine Lösung: \(a^2-32 < 0 \Longleftrightarrow | a | < \sqrt {32} \Longleftrightarrow -\sqrt {32} < a < \sqrt {32}\)

Einordnung

Die Aufgabe ist auch ohne jedes Hilfsmittel lösbar, sinnvoll wäre sie für Schüler, die den Umgang mit einem CAS erlernen.

Kommentar

Der dargestellte Lösungsweg erfüllt die drei angegebenen Kriterien; ein CAS-Werkzeug liefert lediglich die Lösungen der (Un-)Gleichungen. Die Angabe des dazugehörigen Befehls ist nicht notwendig.

Der Schüler muss die Reihenfolge seiner Überlegungen darlegen und die Ergebnisse des CAS interpretieren.


Aufgabenbeispiel 2

Zeigen Sie, dass jede ganzrationale Funktion 3. Grades punktsymmetrisch zu ihrem Wendepunkt ist.

Lösungsvorschlag

Jede ganzrationale Funktion 3. Grades besitzt einen Wendepunkt.

Einordnung

Die Aufgabe ist im Anforderungsbereich III der Sekundarstufe II einzuordnen. Sie erfordert einen sicheren Umgang mit Funktionseigenschaften sowie deren Vernetzung und Abstraktion.

Kommentar

In diesem Beispiel wird die CAS-Fähigkeit genutzt, symbolisch mit Funktionen zu arbeiten. In der dargestellten Lösung wird deshalb die Definition der Funktion angegeben; dies ist die Grundlage für die weiteren Operationen des CAS. Dagegen wird auf die Angabe der konkreten Terme verzichtet – Sie bringen keine weitere Steigerung der Nachvollziehbarkeit. Die für den Nachweis notwendigen Schritte sind angegeben, das Werkzeug führt lediglich die Termumformungen durch. Durch Vergleich der beiden Terme findet der Schüler den geforderten Nachweis.


Fazit und Ausblick

Neben der inhaltlichen Richtigkeit der Schülerlösung liegt der Schwerpunkt bei der Dokumentation auf Nachvollziehbarkeit und Eindeutigkeit. Da ein CAS-Werkzeug dem Schüler große Teile der formalen Rechnung abnimmt, verschiebt sich der Fokus auf die Strukturierung und Interpretation der Ergebnisse. Bei komplexen Aufgaben sollte die Lösungsdokumentation nicht zu einer „Abschreibeübung“ degenerieren, sondern vielmehr die gedankliche Durchdringung des Sachverhaltes und seine mathematische Modellierung in den Vordergrund setzen. Insbesondere Gültigkeitsbedingungen gehören zu einer vollständigen Lösungsdarstellung. Aus diesem Grunde erachte ich das Primat der mathematischen Notation gegenüber werkzeugspezifischen Befehlen als unabdingbar.

Abb. 1: Lösung als eActivity

Eine Alternative zu herkömmlichen „Papier-und-Stift“-Varianten für die Lösungsdokumentation könnten perspektivisch die von Casio für die ClassPad-Serie eingeführten eActivities oder gleichwertige Systeme darstellen. Abb. 1 zeigt eine mögliche Lösung zu Aufgabenbeispiel 1 mithilfe von eActivities. Damit können der mathematische Ansatz, die Umsetzung mit dem Rechner und begleitender Text sehr übersichtlich und strukturiert kombiniert werden. Es wird deutlich, welche Komponenten des Werkzeugs genutzt wurden. Darüber hinaus sind eventuelle Fehleingaben des Schülers nachvollziehbar. Natürlich hat auch diese Variante Nachteile: angefangen bei der Übermittlung der eActivities vom Schüler an den Lehrer – sie ist aber unter den Bedingungen des Schulalttags vergleichsweise effektiv und sicher.

Ich bin überzeugt, dass die Entwicklung und Stärkung der Fähigkeit zum logischen Denken eine wichtige Aufgabe des Mathematikunterrichtes ist. Dies kann mit und ohne CAS-Werkzeug erreicht werden. Aber wenn CAS im Unterricht eingesetzt wird, dann müssen seine spezifischen Vorzüge genutzt werden, dann sollte der Schwerpunkt auf den mathematischen Zusammenhängen liegen, auch und gerade bei der Dokumentation von Lösungswegen.


Vollständiger Artikel erschienen in: Computeralgebra-Rundbrief Vol 58, Berlin 2016 der Gesellschaft für Informatik



1 Bildungsstandards im Fach Mathematik für die Allgemeine Hochschulreife, KMK 18.10.2012


Forum

Dieser Beitrag kann hier diskutiert werden:
https://mathematik-lehr-netzwerk.de/community/blogb/dokumentation-von-schuelerloesungen-mit-cas/

Impressum | Datenschutz

 

© MaLeNe / 2019 - 2021

Bitte nehmen Sie Kontakt auf

Bitte schicken Sie uns eine Nachricht. Wir werden uns umgehend bei Ihnen melden.

Sending

Log in with your credentials

or    

Forgot your details?

Create Account