Zur Bekämpfung einer Virusepidemie wurden von vielen Personen Proben genommen, die in einem kosten- und zeitintensiven Verfahren einzeln getestet wurden. Eine günstigere und schnellere Methode kann es sein, jeweils die Hälfte des Probenmaterials von mehreren Personen zu vereinen und diese neue Probe zu testen. Dieses Verfahren wird Gruppentest genannt. Ist das Ergebnis negativ, kann davon ausgegangen werden, dass auch das Testergebnis jeder einzelnen Probe negativ gewesen wäre. Ist es hingegen positiv, müssen alle Proben einzeln getestet werden. Daraus ergibt sich die Frage, wie viele Proben in einem ersten Test gemeinsam untersucht werden sollten, damit dieses Verfahren vorteilhaft ist.
Ein Artikel von Gerhard Glas, Wöhlerschule Frankfurt
– MaLeNe-Koordinator Hessen –
Ganz sicher hängt die Anzahl der zu einem Gruppentest zusammengefassten Proben davon ab, wie hoch die Infektionsrate in der Testgruppe a priori eingeschätzt wird. Bei einer Infektionsrate von 50% und mehr ist selbst das Zusammenfassen von zwei Proben zu einem Gruppentest nicht sinnvoll, doch bei einer sehr niedrigen Infektionsrate kann es sinnvoll sein, auch 100 Proben zuerst gesammelt zu testen.
Daher zunächst eine allgemeine Überlegung zu diesem Sachverhalt: Angenommen, die vermutete Infektionsrate sei \(x\) (mit \(0<x<1\)) und es werden \(N\) Proben in einem ersten Test gemeinsam getestet. Dann ist die Wahrscheinlichkeit für ein negatives Ergebnis dieser Untersuchung \((1-x)^N\). Sollte das Ergebnis positiv ausfallen (die Wahrscheinlichkeit dafür ist \(1-(1-x)^N\)), dann würden anschließend \(N\) Einzeltests durchgeführt. Insgesamt ist der Erwartungswert für die Anzahl der durchzuführenden Tests:
\(1+N\cdot(1-(1-x)^N)\)
Die Eingangsfrage nach der sinnvollen Anzahl \(N\) der zusammengefassten Proben bedeutet, dass der gerade ermittelte Erwartungswert keinesfalls größer als \(N\) sein darf. Es ist daher die Gleichung:
\(1+N\cdot(1-(1-x)^N)=N\) bzw.
\(N\cdot(1-x)^N-1=0\)
nach \(N\) zu lösen.
Das klappt leider nicht. Eine Lösung nach \(x\) ist hingegen leicht möglich:
Das eröffnet die Chance, die gesuchten Zahlenpaare aus einer Grafik abzulesen. Dafür wird der Graph der Funktion \(f(y)=1-\frac{1}{ \sqrt[y]{y}}\) gezeichnet.
Auf der horizontalen Achse ist der Umfang des Gruppentests (\(N\)) und auf der vertikalen Achse die Infektionsrate \(x\) aufgetragen.
Dem Graph ist zu entnehmen, dass bei einer Infektionsrate von ca. 7,5 % das Zusammenfassen von 50 Einzelproben zu einem Gruppentest noch sinnvoll ist. Bei einer Rate von 20 % ist das gemeinsame Testen von 10 Einzelproben noch sinnvoll.
Auch mit dem FX-991DE X kann die Aufgabe gelöst werden. Wird die Infektionsrate mit \(A\) bezeichnet und die Anzahl der maximal sinnvollen Zusammenfassung zu einem Gruppentest mit \(x\), dann lautet die Gleichung \(\frac{1}{1-A}=\sqrt[x]{x}\).
Mit SOLVE kann diese Gleichung für verschiedene Werte von \(A\) gelöst werden.
Das beantwortet aber nur die Frage, wie viele Proben sinnvollerweise maximal zusammen in einem ersten Gruppentest untersucht werden. Interessant ist hingegen der minimale Erwartungswert bei einer bekannten
Infektionsrate: Wie viele Proben sollten bei einem ersten Gruppentest gemeinsam untersucht werden, um mit möglichst wenigen Proben insgesamt auszukommen? Angenommen, es sind 120 Proben zu untersuchen, dann ist der minimale Wert des Terms Anzahl der zu erwartenden Tests \(=\frac{120}{N}(1+N\cdot(1-(1-A)^N))\) gesucht.
Mit dem FX-991DE X können mit der CALC-Funktion Werte ermittelt werden, z.B. für \(A=0,06\):
Für \(A = 0,07\) ergibt sich ein Minimum bei \(N = 4\) mit einem Erwartungswert von 60,21. Bei einem Testumfang von 600.000 Tests bedeutet das, dass nur etwa 301.000 Tests durchgeführt werden müssten, wenn jeweils zunächst 4 Proben gemeinsam untersucht werden. Der zeitliche Aufwand wurde nahezu halbiert!
Die rechnerische Suche nach dem minimalen Wert des Terms mithilfe der Infinitesimalrechnung führt zu der Gleichung \(x^2\cdot ln(1-a) \cdot(1-a)^x+1=0\). Diese ist leider höchstens numerisch lösbar, bei bekanntem Wert für \(a\).
Sehr anschaulich ist es aber, die Funktionenschar zu untersuchen:
Redaktionelle Anmerkung:
Im Januar 2021 galten etwa zehn bis zwölf Prozent der Corona-Tests in Deutschland als positiv. Pro Woche wurden bundesweit etwas mehr als 1.000.000 Tests durchgeführt. (https://de.statista.com/infografik/22496/anzahl-der-gesamten-positiven-corona-tests-und-positivenrate/)
Dieser Beitrag stammt ursprünglich aus dem Casio Forum 2020/2.
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